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Estación del Silencio
Registriert seit: 24.11.2002
Beiträge: 2.322
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Ein etwas längerer Artikel, aber lesenswert ...
Wahlkampf in Amerika Pop gegen Bush 10. August 2004 Es fällt auf, daß von den deutschen Popmusikern niemand etwas gegen Hartz IV sagt oder gar deswegen auf die Straße geht. Das mag damit zusammenhängen, daß die meisten sich um ihre eigene Existenz keine Sorgen machen müssen und auch deren Kinder wohlversorgt sind. Doch es muß noch einen anderen Grund dafür geben. Früher war ihnen mancher Anlaß recht, sich öffentlich zu Wort zu melden, auch wenn sie davon direkt gar nicht betroffen waren. Aber die etablierte Garde, die in der Öffentlichkeit am zuverlässigsten Gehör findet, hat sich nach ihrer anarchisch-frechen Phase der siebziger und frühen achtziger Jahre parteipolitisch mittlerweile festgelegt; und die nachwachsende Generation, die noch an Sozialkritik interessiert ist, kann in Zeiten der Aufsplitterung der Stile die Mehrheit nicht mehr erreichen. Man könnte sagen, die älteren Musiker sind erwachsen geworden wie das rot-grüne Lager, dem sie in der Regel zuneigen. Einige stehen sogar mit dem Bundeskanzler im Duz-Verhältnis. Was sollen Marius Müller-Westernhagen oder Wolfgang Niedecken da auch sagen gegen den sich als Reformwerk tarnenden Sozialabbau? Traitionell engagierte Popmusiker in Amerika Es dürfte aber noch einen anderen Grund für dieses peinliche Schweigen geben: den Mangel an Volkstümlichkeit. Die deutschen Popmusiker waren und sind viel zu sehr mit dem Unterschied zwischen sich und denen beschäftigt, die nicht so reich und berühmt sind wie sie, als daß sie sich auch noch um Arbeitslose kümmern könnten. Lieber reden sie über die deutsche Neidgesellschaft, die hier jedem das Berühmtsein so schwermache. Man muß sich diesen Sachverhalt, der vielleicht eine nationale Spezialität ist, vor Augen führen, wenn man verstehen will, was die amerikanischen Popmusiker immer wieder zu politischem Engagement bewegte. Zu Mitte der achtziger Jahre gab es nicht nur Projekte wie "Band Aid", die sich der Bekämpfung des weltweiten Hungers verschrieben hatten, sondern auch solche, die ein nationales Anliegen hatten wie beispielsweise "Farm Aid", die Konzertreihe, bei der Musiker wie Willie Nelson, Bob Dylan, Neil Young und John Mellencamp mitmachten. Die Einkünfte kamen den amerikanischen Bauern zugute, die unter Reagans Politik verarmt waren. Es verstand sich von selbst, daß dabei auch patriotische Töne laut wurden; niemand fand etwas dabei, von einer Vision für sein Land zu sprechen, in die auch jene Bevölkerungsteile miteinbezogen wurden, die dem traditionell linksliberalen Milieu der Popmusik fernstanden. Zu Wahrhaftigkeit, Treue und Verläßlichkeit zurückfinden Dieser Tage hat der amerikanische Rockmusiker Bruce Springsteen in einem von mehreren Zeitungen veröffentlichten Artikel angekündigt, daß er sich der Bewegung "Vote for Change" anschließend will, die im Herbst zu einer prominent besetzten Tournee durch das ganze Land führen wird. Der Musiker, der bei Kampagnen normalerweise reserviert ist und sich nicht vereinnahmen läßt, begründet seine Teilnahme mit der Sorge um den "Gesellschaftsvertrag", der durch die fortwährende Spaltung in Arm und Reich gesprengt werde. Man müsse zu gegenseitiger Achtung, Wahrhaftigkeit, Treue und Verläßlichkeit zurückfinden: "Darin zeigt sich unsere Seele als Nation und Individuen." Ein solches Bekenntnis, das deutschen Popmusikern aus mehreren Gründen nicht über die Lippen käme, muß man vielleicht nicht beim Nennwert nehmen; aber es ist insofern aufschlußreich, als sich darin ein Gemeinsinn ausdrückt, der auch in Amerika geschwächt sein mag, der aber in Deutschland nahezu verschwunden ist. Sympathie für Menschen, die nach Feierabend ihr Auto waschen Dieser Gemeinsinn, der eine Nähe zu den Unterpriviligierten notwendigerweise einschließt, konnte sich in der amerikanischen Populärkultur deswegen erhalten, weil er teilweise deren Fundament bildet. Woody Guthrie besang das "Union Feeling". Springsteen hat die Nähe zum Kleinbürger- oder Proletariertum nie gescheut - im Gegenteil, seine besten Songs handeln von dessen Sorgen, die irgendwann nicht mehr seine eigenen waren, und von deren Idealen, die er nie aus den Augen verlor. Über die mißverständliche Vereinnahmung seines größten Erfolgs, der Platte "Born In The U.S.A." von 1984, durch die Reagan-Regierung, ist viel geschrieben worden. Die zweispältige Heimatliebe, die er hier artikulierte, verdeckte, daß Springsteen immer den direkten Zugang zur Mikrostruktur der amerikanischen Gesellschaft suchte. Seine Lieder sind voller Sympathie für Menschen, die nach Feierabend ihr Auto waschen ("Racing In The Street"), und für die Arbeiter, deren Glück in der Beschaulichkeit und in gesellschaftlicher Anerkennung besteht ("Independence Day"). Was in Deutschland als spießbürgerlich bloßgestellt würde, wird hier zum Entwurf richtigen Lebens. Outlaw-Gestus Die sozialkritische Sensibilität, die sich mit Patriotismus gut verträgt, ist in der amerikanischen Popkultur bis heute so stark ausgeprägt, weil die grundlegenden volkstümlichen Strömungen - Blues, Folk und Country - ursprünglich deren Vehikel waren und erst allmählich zu einem Stilbegriff wurden. Amerikas volkstümliche Musik verstand sich immer als Klage, als individuelle, aber auch als kollektive, als Anklage. Deswegen wurden deren wichtige Protagonisten zugleich auch gesellschaftliche Instanzen. Die moralische Stoßrichtung von Pete Seeger, Woody Guthrie oder auch Johnny Cash war dabei eindeutig, manchmal sogar schlicht, und zielte auf möglichst breite Identifikation, die von dem Outlaw-Gestus, den diese Musiker zuweilen an den Tag legten, eher noch erleichtert wurde. Seit je äußerte und weckte die amerikanische Popmusik Sympathien für die Gesetzlosen. Lieder über die Doolin-Dalton-Bande, Billy the Kid oder Bonnie und Clyde gehören zu deren Grundbestand. Woody Guthrie, das große Vorbild von Bob Dylan, sang: "Einige rauben dich mit einer Sechsschüssigen aus, andere mit einem Füllfederhalter. Aber wohin du auch kommst, wie du durchs Leben gehst, nie wirst du sehen, daß ein Outlaw eine Familie von Haus und Hof vertreibt." Der amerikanische Rockmusiker Lou Reed schreibt dazu: "In einem Jahr, das davon geprägt ist, daß sich die großen Konzerne geballt aus der Verantwortung stehlen, spiegelt dies wohl die Gefühle vieler wider." Vertonter John Steinbeck In Deutschland gibt es für dergleichen Gedankengut keine populäre, unideologische Plattform; in der Volksmusik, die hier den Ton angibt, sind gesellschaftspolitische Aussagen nicht vorgesehen. Man muß, um mit dergleichen Beachtung zu finden, zu Sabine Christiansen gehen, wo man sich dann niederbrüllen lassen darf. Woody Guthrie und alle, die ihm folgten, zielen auf eine Vereinfachung der Gefühle. Das müssen sie auch, anders ist keine Breitenwirkung zu erzielen. Bruce Springsteen tut das ebenfalls, auch wenn der einflußreiche Kritiker Greil Marcus einmal behauptete, Springsteen hätte keinen Zugang zum Denken und Fühlen der Depressionszeit. Seine Platte "The Ghost Of Tom Joad" (1995) ist vertonter John Steinbeck; der Schluß seines Zeitungsartikels - "Deshalb ist es Zeit für einen Wechsel. Das Amerika, das wir in unseren Herzen tragen, wartet darauf." - ist ganz im Geiste von "This Land Is Your Land" gehalten, Guthries berühmtestem Lied. Breite Allianz gegen Bush Und dieser Geist wird im Herbst über das Land kommen und soll George W. Bushs Wiederwahl verhindern. Es ist kein Zufall, daß viele von denen, die mitmachen beim "Vote For Change", der folk oder roots music nahestehen oder sogar aus ihr kommen: John Fogerty (ehemals "Creedence Clearwater Revival"), James Taylor, "R.E.M.", Jackson Browne und eben Springsteen. Wie breit die Allianz ist, die hier geschmiedet wird, mag man daran sehen, daß sich dieses bodenständige, altmodische Milieu ohne weiteres verträgt mit der großstädtischen Militanz des Hip-Hop-, Rap- und Techno-Lagers, das ebenfalls an Bushs Abwahl arbeitet. Vermutlich wird es dabei nicht ohne Sozialromantik und auch nicht ohne Kitsch abgehen. Aber Amerikas Popmusiker können sich, im Gegensatz zu den deutschen, die höchstens noch für Radioquoten kämpfen, den Luxus leisten, sich damit zu befassen. Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.08.2004, Nr. 185 / Seite 33 Bildmaterial: AP http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF41...~Scontent.html ... ich frage mich, ob sich Grönemeyer (und all die anderen deutschen Künstler) politisch gesehen diesen Schuh anziehen sollten .... "Heimat" und "Neuland" gehen da nicht im Ansatz in diese Richtung, da nicht aussagekräftig genug ....
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Geändert von Luxus (19.08.2004 um 13:35 Uhr). |
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