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Alt 03.05.2003, 12:54   #22
Claire
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Registriert seit: 05.12.2002
Beiträge: 1.233
Claire hat die Renommee-Anzeige deaktiviert
Gestern hat der Großstadt-Dschungel mich verschluckt
und heut erst wieder ausgespuckt.
Jetzt ist es an der Zeit
für Details
zur Grönemeyerschen Sinnhaftigkeit
und Albernheit.

Also - es ist eine schöne, konventionelle und schmissige Inszenierung.

(Ich habe jetzt etwas Bauschschmerzen, im Zusammenhang mit einer modernen Inszenierung den Begriff "konventionell" zu verwenden, der da eher einen negativen Touch hat. Aber zur Abgrenzung: es ist keine Inszenierung, in der nach der 1.Szene des 1.Aktes die 2.Szene des 3.Aktes folgt, die 2.Szene des 1.Aktes dann weggelassen wird, damit dem verwirrten Zuschauer der Sinn für die Komplexität der Bedeutung im Stück aufgezeigt wird; der Vater des Königs als neue zusätzliche Figur eingeführt wird und in SA-Uniform über die Bühne marschiert, um dem Stück eine zusätzliche historisch-politische Dimension zu geben; die Zuschauer in den ersten Reihen im Sinne eines interaktiven Konzeptes in die Spielhandlung einbezogen werden, etc. etc. etc. . Diese Art von moderner Inszenierung ist Leonce und Lena von Wilson/Grönemeyer nicht.)

Ja ja, zu Herberts Musik komme ich gleich noch... . Aber erst der Reihe nach.
Wer das Stück gelesen hat, erkennt es in der Spielhandlung wieder, immerhin.
Mich hat das schnörkellose Bühnenbild, das harmonische Zusammenspiel der Farben von Bühnenbild, Kostümen und Lichtgestaltung wirklich begeistert!
Auf der Bühne wird zur Musik von Herbert, sowie Alfred Kritzers, Hans-Jörg Blumenbergs und Alex Silvas - dies jetzt nur der Vollständigkeit halber -, gehüpft, getanzt, sich slapstickmäßig bewegt, alles mögliche gemacht, um den Eindruck des Lustigen und Albernen zu vermitteln.
Herbert fängt an mit einem ziemlich knalligen, lauten Einführungsstück, bei dem gleich der ganze Theaterraum ins Beben gerät und mancher der professionellen Kritiker sicherlich schon überfordert ist. Es gibt dann ganz herberttypische und schöne Musikstücke, darunter einige schon wohlbekannte Klänge. Außerdem Ausflüge von Herbert in den Jazz, zu Klezmerangehauchtem und in andere Musikrichtungen. Mit diesen Stücken tue ich mich erstmal ein klein wenig schwer und würde sie gerne noch ein paarmal hören, bevor ich wirklich was dazu sagen kann, denn ich finde sie bei Herbert Grönemeyer etwas fremd.
Die Musik ist manchmal so laut gewesen, daß die Texte dann nur schlecht zu verstehen waren. Beim Nachlesen der Texte fand ich, daß dies vielleicht garnicht von Nachteil war...(die Lästerecke ist eröffnet...) . DieTexte stammen nicht vollständig von Herbert. Er hatte als Co-Autorin Arezu Weitholz. Die Texte sind zum Teil unglaublich albern. Eine kleine Kostprobe gefällig?

"Der Hofpoet grunzt herum,
Jungfrauen rosten dahin,
die weissen Röcke bleich,
die Unschuld verliert den Sinn.
...
Wir machen uns Beine,
wir machen uns Beine,
wir machen uns Beine,
Beine und nichts passiert.

Kommen nicht ins Reine,
kommen nicht ins Reine,
kommen nicht ins Reine,
wir kommen raus und stehn pikiert.

Herzen schmelzen, Posituren frieren,
alle mühe hat das Spiel verlorn,
Knoten platzen, leere Korselagen,
Garnitur gerinnt, die Augen blind,
Laune verstimmt, Pfefferminz,
und wir verdorrn.

Wie geht´s weiter,
wie geht´s weiter,
wie geht´s weiter,
keiner hat einen Plan.

Bleiben se heiter,
bleiben se heiter,
bleiben se heiter,
wir fangen nochmal von vorne an,
von vorne an.

... "
(aus: Diener)

oder

" Fängt die Sonne an zu regnen,
verspannt der Bauer im März,
Bleib ich kühl unbeweglich,
Ob Hermelin oder Nerz.

Ist der Wille noch so offen,
mit oder ohne Gewähr,
Wüsst´ich wie, würd´ich hoffen,
ich bin a König und ka Herz.
... "
(aus: König und Hofstaat)

Die ganze Inszenierung und auch Herberts Musik geht in Richtung Leichtigkeit, Albernheit, Lustigkeit. Also ein ganz anderer Büchner, als das auf unseren Bühnen bisher als Interpretation zu sehen war. Büchner zum Lachen, und ich habe viel gelacht bei der Vorstellung, kein Büchner der megatiefen schweren Philosophie, sondern einer zum Amüsieren. Ich nehme mal an, daß genau da die Kritiker/innen und diejenigen, die Herbert nicht mögen, mit ihrer Kritik ansetzen werden. Ich könnte mir vorstellen, daß man die Wilsonsche/Grönemeyersche Interpretation unter Umständen, eventuell, möglicherweise, vielleicht als etwas oberflächlich ansehen könnte.....

Zu den Personen: absolute Spitzenklasse und derjenige, der mit Grönemeyers Musik und Grönemeyer offenbar auch mit ihm als Typ, am besten klar kam, war Stefan Kurt als Narr Valerio.
Supi supi supi!!!!
Der Vater des Prinzen Leonce, König Peter, gespielt von Walter Schmidinger, hat mir auch gefallen. Leonce, gespielt von Markus Meyer, fand ich so lala.
Die Frauen, Prinzessin Lena, Nina Hoss, und die Gouvernante, Angela Schmid, fand ich seltsam farblos und haben mich nicht überzeugt.

Applaus gabs übrings reichlich, auch schon während der Aufführung reichlich Szenenapplaus. Wir, Pika, Zaubermaus, Bruno und ich haben unser bestes gegeben!

Insgesamt also eine allgemein verträgliche, "leichtfüßige", amüsante, familienfreundliche, auch für Theaterungewohnte sicherlich zugängliche Inszenierung.
Ein Abend, der sich voll gelohnt hat! Gerne hätte ich mir gestern oder heute das Stück nochmals angesehen, aber - keine Chance, an Karten zu kommen. Die nächsten Aufführungen sind schon alle ausverkauft.

Ein Wörtchen noch zu etwas, was an Theatern meistens ziemlich stiefmütterlich so nebenbei abgehandelt wird: das Programmheft.
Von außen ein unscheinbares schwarzes Etwas (warum mögen Designer/innen eigentlich fast alle die Nichtfarbe Schwarz? Ich verstehe das wirklich nicht......) Und Innen? Ein wirkliches Schmuckstück. Es gehört mit den Werk-Fotos, abgebildeten Zeichnungen und Bühnenentwürfen, dem Interviewausschnitt und den Musiktexten zum schönsten, was ich seit langem als Programmheft gesehen habe!

So, reicht das jetzt an Bericht?

Jetzt tauche ich wieder in den Dschungel ein.
Dort erwartet mich nicht König Peter
vom Reiche Popo,
sondern König Idomeneo,
der Kreter,
logo.......
danke sehr, bitte sehr,
Grüßle, Claire
__________________
... Du Dich nicht von Dir entfernst...
... und wir müssen die Menschen daran erinnern, dass Kultur kein Luxus ist, sondern eine Notwendigkeit zum Leben, die man braucht wie Luft zum Atmen. (Simon Rattle)
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