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Darum öffnet Eure Pforten
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AW: Das ist los: 40 Jahre Bochum live@LV.de - Viel besser, als man glaubt
Der Akku hat mich gestern im Stich gelassen, sonst hätte ich hier gerne weiter berichtet. Ein paar Details:
Vielleicht 10 Minuten vor Konzertbeginn unterbrach die Anheizmusik und jemand teilte mit, dass sich Zeugen eines Fahrrad-fährt-Kind-krankenhausreif-Unfalls nach dem Konzert bei der Polizei melden mögen. Als es hieß, dass es dem Kind so weit gut gehe, erdröhnte ein tosender Applaus.
Dann gab es noch ein Bisschen weitere Anheizmusik und schließlich wurde es kurz still, es setzte anders als letztes Jahr eine dumpfe Streicher-Intro vom Band ein, und 4 noch nie zuvor gesehene Bläser (Saxophon, Trompete, Posaune und was noch?), von denen der Trompeter möglicherweise Tobias Weidinger sein könnte, wenn ich ihn am Ende auf der Leinwand richtig erkannt habe (Mitglied der "Mighty Winterscheidts", bzw. der umbenannten Studioband bei "Wer stiehlt mir die Show?"), und von denen, wenn ich das richtig verstanden habe, der Saxophonist mit Nachnamen vielleicht Kirchner heißt, aber ganz gewiss nicht der Kirchner ist, den alle so gern gesehen hätten und ich dachte mir Oje, dieses Konzert wird kaum mit Tau beginnen, es wird doch nicht etwa mit Bochum eröffnet!?
Nicht ganz, es ging wie letztes Jahr beim WarmUp mit Das ist los los, und damit war ich mir in dem Moment ziemlich sicher, dass es ein Das ist los-Konzert mit eingewobenem Bochum-Schwerpunkt wird - unterm Strich würde ich es rückblickend nicht so bezeichnen, es sollte eher ein Bochum-Konzert mit einer Prise Das ist los werden.
Schon an Stelle 2 war absolut ungewiss, was folgen würde: Wurde das Programm wieder zur WarmUp-Setlist zurückgekrempelt und es geht weiter mit Deine Hand? Wurde die Eröffnung verdreht und es geht weiter mit Tau? Entfällt Tau und es geht direkt weiter mit Bist Du da? Nein, es folgte Viertel vor (und damit wurde auch die Ankündigung, ein Bisschen mehr als das Übliche von Mensch zu spielen, mit einem Jahr Verspätung wahrgemacht) und ab da war klar, dass nichts mehr unmöglich sein sollte (außer vielleicht etwas von der 1. Platte oder von Schiffsverkehr, aber mit allem, was nicht in Grund und Boden geleugnet wird, musste man prinzipiell rechnen). Eine kurze Frage in die Runde: Hat jemand bei den Buchmachern gut abkassiert mit dem Tipp, dass Viertel vor gespielt wird, Deine Hand aber nicht?
Dann ging es deutlich weniger abgespaced weiter mit Sekundenglück und ab dann nahm das Standardset von letztem Jahr leicht modifiziert seinen Lauf: Alles, was weder von Bochum noch von Das ist los ist, wurde durchgewinkt: Kopf hoch, tanzen; Halt mich (mit Saxophonsolo!) wurde reingeboxt, dann Was soll das (leider immer noch als enstellter Klotz am Bein von Vollmond, aber immerhin wurde Männer erfolgreich aus diesem siamesischen Drillingsgespann geborgen, wie man später hören durfte), das wohl nicht totzukriegende Doppelherz, das auch gerne zu Gunsten von Fall der Fälle hätte weichen dürfen, Musik nur wenn sie laut ist und nach 15 Jahren fast durchgehender Trennung Der Weg und Mensch.
Und dann endlich fielen die Worte, die auf den Tickets, den Bannern, den Bechern, einfach überall prangen: 40 Jahre Bochum! Anstatt direkt mit Bochum zu beginnen, verließen alle die Bühne und es begann dröhnend die musikalische Intro von Komm zur Ruhr vom Band, dazu zeichnete sich auf der Leinwand bereits die Vorhut zu einer ganzen Reihe brillanter Hintergrundfilme, die gewaltiges Gänshautpotenzial besitzen.
Schließlich kam Herr Grönemeyer zunächst allein wieder, begann am Keyboard das Steigerlied und der Rest vervollständigte sich, auf der Leinwand waren dazu schwarzweiße Fotos zu sehen, die Bochum oder zumindest das Ruhrgebiet, bzw. das, was sich viele unterm Ruhrgebiet vorstellen, zeigten, diese waren so präpariert, dass sich sich mehrheitlich schrittweise vervollständigten (Gebäude kamen hinzu, Menschen wurden ins Straßenbild gesetzt, all so was halt) und ich bin sicher: Obwohl ich das hier so ausführlich und anschaulich beschreibe, wird diese optische Begleitung bei vielen dann doch einen Kloß im Hals verursachen, wenn sie es live sehen.
Es wurde angekündigt, dass weitere Bochum-Lieder folgen und das nächste sollte bereits Für Dich da sein, mit klassischem Intro, wie betont wurde. Dieses kam absolut nicht an die Blick zurück-Variante heran und die 1. Strophe wurde komplett a capella gesungen, bevor die Gitarren einschlugen, aber insgesamt war die Version noch sehr nah an der von 2012 bis 2016, also nicht zu vergleichen mit früher oder mit dem neuesten Lea-Kladderadatsch. Ach ja: Für Dich da wartet auch mit einem exzellenten Hintergrundfilm auf: Es sieht aus, als würde eine Kamera über verstreute alte Fotos (40 Jahre alte Fotos) von Herbert, Alfred, Norbert und Jakob filmen und dazwischen sind leere Rechtecke in derselben Größe der Fotos, in denen das bewegte Live-Bild von der Bühne zu sehen ist. Schon die Bebilderung zu Bochum ging mir unter die Haut, doch die alten Fotos bei Für Dich da setzten noch einen drauf und riefen natürlich auch die allgegenwärtige übergroße Ungerechtigkeit in Erinnerung, dass Frank Kirchner diese wunderbaren Konzerte nicht miterleben kann.
Nach kurzer Erwähnung, dass damals die Pershing 2-Raketen stationiert wurden und heute auch nicht alles ganz einfach ist, gab es Amerika, womit ich auch nicht so richtig gerechnet hatte im Vorfeld - überdies fällt auf, dass immer noch Krieg in der Ukraine ist, dass aber mit Viertel vor ein Lied dabei war, in dem es heißt, dass um 12 Weltuntergang ist, und mit Amerika eines, in dem jenes titelgebende Land ermuntert wird, Russland freundlich entgegenzutreten - Der Schlüssel hingegen blieb komplett unerwähnt und ungespielt.
Zu Alkohol gibt es nicht viel zu schreiben, aber zu seiner damaligen B-Seite:
Nach allem, was darauf hindeutet, war es nach nicht weniger als 38 Jahren, 9 Monaten und 6 Tagen soweit und es wurde erstmals wieder ein Lied gespielt, über das er erklärte, dass er es noch nie besonders gemocht hat, sie aber eine Version zurechtarrangiert haben, mit der hoffentlich alle leben können, auch wenn es shr danach klang, dass der vermeintliche Tiefpunkt des Abends anstünde - ich bin absolut gegenteiliger Meinung, ich empfand Erwischt als DAS Riesenhighlight des Konzerts und der letzten beiden Touren, nicht nur, weil es überhaupt nach so einer langen Zeit wieder gespielt wird, sondern auch, wie: Zusammen mit Markus, Jakob und Stephan, die beiden letzteren mit akustischen Gitarren bewaffnet, gehts auf den Laufsteg (Alfred ist auch irgendwie am Keyboard zugange, aber getragen wird die Nummer von den Gitarren) und es beginnt eine unglaublich schöne, liebevolle und vor allem hauchzarte, nein, geradezu anmutige Version von Erwischt, die aber dennoch flott ist, man muss es selbst gehört haben, es ist ein Bisschen, als würde man, was das Gitarrenspiel angeht, eine so bedächtige Ballade wie Land unter mit der Virtuosität aus Lebe mit mir los paaren. Trotz des Zaubers, den dieses Lied verbreitet hat (den empfinde ich immer, wenn ich ein Lied zum 1. Mal live höre, aber hier war es nochmal eine Nummer besonderer), schwang aber auch hier ein Wehmutstropfen mit: Da es zuletzt 1985 und erst vorgestern wieder gespielt wurde, steht dieses Lied symbolisch wie kein anderes so passgenau dafür, dass es eine Zeit vor und eine Zeit nach Frank Kirchner als Bandmitglied gab, bzw. gibt.
Nach diesem höchst unerwarteten Riesenhighilight gab es Jetzt oder nie, dass ich (und die meisten anderen) immerhin auch schon seit 11 1/2 Jahren nicht mehr live gehört hatte, dazu lief ein Film von überschaubarem Einfallsreichtum, er wirkt sehr von dem zu Oh oh oh inspiriert oder auch dem zu Ich versteh.
Normalerweise schimpfe ich sonst immer über Flugzeuge im Bauch, aber als 7. von 10 Bochum-Liedern in Folge räume ich ihm zähneknirschend seine Daseinsberechtigung ein. Mitgesungen habe ich nicht, aber nicht aus Protest, sonderns aus Gewohnheit, vielleicht werde ich das in Bochum überdenken...
Nachdem ausgerechnet Schiffsverkehr, von dem bereits auf dem 2. Tourabschnitt schon fast nichts mehr gespielt wurde, kurioserweise das bisher einzige Album war, von dem ich jedes Lied mal live gehört habe, sollte sich diese schon ewig klaffende Lücke nun endlich schließen, indem nach Erwischt nun auch endlich Fangfragen live gespielt wurde. Besonders hervorzuheben ist das extrem lange Bläsersolo (bestimmt gut 1 1/2 Minuten, wenn nicht länger), zu dem am Stegende auf der Stelle eine ausdauernde Tanzeinlage erfolgte.
Nachdem es letztes Jahr in Bremen ertsmals seit Jahren wieder normal gespielt worden war, wurde nun auch Männer wieder mit 2 elektrischen Gitarren gespielt, die Bläser haben ihm auch nichts von seiner Druckschlagskraft genommen (den anderen Stücke im Übrigen auch nicht, etwa Musik nur, wenn sie laut ist oder Bleibt alles anders, natürlich auch Das ist los und Viertel vor, die profitieren alle ungemein). Ich fühlte mich stark an die 12-Tour erinnert, als es vor Liebe liegt nicht als vorletztes Stück des Hauptblocks noch einmal vollends aufdrehte und das zu einem genialen Leinwandfilm - solch einen gab es gestern auch, aber nicht in Verkleidungen, sondern bewegte Live-Bilder waren durchsetzt von Ausschnitten aus dem Rockpalast-Konzert. Zu sehen sind dort auch Gaggy Mrotzek und Detlef Kessler in Großaufnahmen (letzterer übrigens bis heute das einzige Bandmitglied aus der DDR und das zu einer Zeit, als es für ihn problematisch war, im Westen Karriere zu machen) und damit unterm Strich so gut wie alle großen wichtigen Bandmitglieder, die es gab und gibt - alle bis auf einen...
Da ich noch ein paar Stunden Schlaf nachholen muss, unterbreche ich hier und schließe mit der Information, dass der Bochum- und der Hauptblock mit dem Mambo ihr Ende fanden.
Eine Spoilerwarnung für die Fortsetzung: Am Ende von "Lache, wenn" (so hat er es genannt) wurde es kurz unruhig und dramatisch.
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Auch wenn Du mich verklagst
und Du schwörst, dass Du mich magst,
ist mir alles so egal.
Ob Du fauchst oder ob Du beißt,
mich verwirrt nennst oder unreif,
Rache schwörst zum jüngsten Tag.
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