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Alt 01.06.2003, 11:42   #48
Chris+
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Respekt vor eigener missionarischer Kraft

Herbert Grönemeyer im Ludwigshafener Südweststadion



Er dreht sich um, winkt und geht. Vielleicht verlegen. Eher noch bescheiden. Er hat die Seele der Stadt leise berührt, den 35.000 Menschen im Südweststadion seine und ihre Seele gezeigt. Das verbindet und macht große Gesten überflüssig. Vorbei sind jedenfalls die unseligen Versuche, den Intellekt als Bilder spuckende Waffe gegen das Publikum zu richten. Ludwigshafen umarmt Herbert Grönemeyer teilweise stürmisch - er lässt es geschehen.

Grönemeyer ist Kult: Mal verkniffen, mal versonnen schaut er singend in die Welt. Bilder: Kunz



"Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl." Und als solches kaum zu fassen. In Worte. Grönemeyer singt in Ludwigshafen mehr über die Stadt, als er beim flüchtigen Durchfahren vielleicht geahnt hat. Und er passt zu ihr. Mehr vielleicht als ihm lieb ist, wer weiß es. "Du bist keine Schönheit, vor Arbeit ganz grau", heißt es in der Ruhrpott-Hymne "Bochum". Stimmt. "Du bist einfach zu bescheiden." Stimmt fast. Schwestern im Geiste scheinen die Heimat-Städte gewesen zu sein. Seit Freitag wissen wir mehr. Oder glauben fest daran...

Das Open-Air-Konzert im - man darf es, lokalpatriotisch weich gestimmt, so nennen - altehrwürdigen Südweststadion hält etwas mehr als zwei Stunden lang jene Intimität, die Herbert Grönemeyers "Mensch"-Album versprochen hat und die dem Vorgänger "Bleibt alles anders" so völlig abging. Ein Menschen-Album, ein Bilderbogen für die Fantasie: der Mambo-Typ auf Parkplatzsuche, der Was-soll-das-Typ im postfinalen Eifersuchts-Beziehungs-Stress, die verlorene Traumfrau, der Mensch an sich.

Der momentan erfolgreichste Popmusiker der Republik zelebriert seine Rückkehr von der Trauerarbeit emotional aber stilvoll. Wenn er mit halb geschlossenen Augen am Keyboard ausharrt, beseelt von sich, der Musik und der Zuneigung der Menschen, vermittelt seine Gestik - der schlapp in die Luft geworfene Arm, das Kopfkratzen - so etwas wie Demut. Vor seinem Schicksal. Vor seinem Talent. Er wirkt echt. Und warum? Weil er auch Respekt vor seiner missionarischen Kraft hat.

Deshalb zwingt sich Herbert Grönemeyer zur Sparsamkeit: keine langen Ansagen, keine superschicken Klamotten, keine platten Konzertrituale. Die Rolle als Star bricht er mit Ironie, mit dem Hinweis auf persönliche Unzulänglichkeiten. Auf dünnes Haar, kleines Bäuchlein oder seine außerordentlichen Fähigkeiten als Tänzer. Der Gefahr der Anbiederung entgeht der in London lebende Künstler fast englisch-elegant und trotzdem nur haarscharf durch den poetischen Charme seiner Sprache. Bewusste Distanz, unbeholfene Tanzschritte auf dem Laufsteg mit einer weißen Rose in der Hand: Bevor der Vorhang fällt, gibt es auch zwischen den Massen noch Einsamkeit.

Der krasse Gegensatz zum grönemeyerschen Rollenverständnis erwächst aus der opulenten Inszenierung, die hinter dem weißen Tuch auf seine Fans wartet: eine großartige Band, musikalische Perfektion, multimediale Performance. Während allerdings viele Materialschlachten anderer Musikgrößen im Frost ästhetischer Kühle verloren gehen, bleibt dem grönemeyerschen Ganzen die Rest- und Nestwärme. Zur Reggae-Version von "Mensch" huschen Sonnenblumenfelder über die Leinwand, ein putziger Eisbär bläst sich zu einem meterhohen Maskottchen auf. Spielerei, ja sicher, aber unverhohlene Liebe zum Kitsch statt technologischem Machbarkeitswahn.

Die Setlist ist ein ehrgeiziger Plan, der ziemlich gut zu einschlägig-berüchtigten Radiowerbespots passen würde: das Beste der 80er, 90er und von heute. Die Platten "Bochum", "Ö", "Bleibt alles anders" und eben "Mensch" sind das Vehikel für Herberts Zeitreise. Nach guten zwei Jahrzehnten im Geschäft wollen schließlich mindestens drei Grönemeyer-Generationen versorgt sein.

Und so ist die Show auch eine Werkschau von der autistischen Deutschrock-Attitüde der Anfangsjahre bis hin zur totalen Offenheit für die unterschiedlichsten (britischen) Einflüsse. Die Band bezieht ihren Spaß ganz offensichtlich daraus, angegraute Songs künstlerisch zu beatmen: "Vollmond" als gnadenlose Rocknummer zum Beispiel, "Männer" als aufgepunkte Stimmungspolka oder das monumentale "Bochum". Und trotzdem: Die leisen Momente sind die schönsten, weil man sie erwartet hat, weil sie magisch sind.

Eine faire Geste war es übrigens, dass Herbert Grönemeyer seinen "Special Guest" Stephan Eicher für eine Zugabe noch einmal auf die Bühne bat - ein bisschen Wiedergutmachung, denn der Schweizer Singer-Songwriter musste bei vollem Tageslicht ohne Light-Show und Video-Leinwände den Anheizer spielen und ging in der vorabendlichen Schwüle ziemlich unter. Aber gegen das Gefühlskino des Herbert Grönemeyer kommt niemand an. Nicht einmal er selbst...


Quelle: Rheinpfalz - www.ron.de
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