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Kein Witz, aber sehr schön zu lesen:

Es ist schön, in einer offenen Gesellschaft zu leben, das gleich mal vorneweg. Niemand muss sich heute mehr verstecken, wenn er Dinge tut, die andere vielleicht nicht sofort verstehen. Dinge mit Gummi zum Beispiel - da ist heute wirklich nichts mehr dabei. Früher mussten die Menschen diese Gummisachen unter sich ausmachen oder konnten sich bestenfalls in halb legalen Clubräumen mit matter Beleuchtung treffen. Jetzt ist damit Schluss. Ein paar Leute, die gerne Dinge mit Gummi tun, haben endlich einen Dachverband gegründet, unter den sich zum Beispiel die Ortsvereine TWG Schlabbeschubser, Gib Leder 04 Döbeln und der GWV Rauen Latex 04 gestellt haben. Was heißt denn um Himmels Willen GWV? Kann man das, ohne rot zu werden, verraten? Kann man: GWV heißt Gummistiefelweitwurf-Verein. Diese Menschen lieben es, Gummistiefel zu werfen und hinterher dafür gefeiert zu werden. Völlig okay, wirklich, das geht heutzutage absolut in Ordnung.

Und wenn man mal ehrlich zu sich selber ist: Einen Gummistiefel hat doch jeder schon mal am Fuß gehabt, da braucht keiner moralisch zu kommen. Jeder hat mindestens einmal in seinem Leben diese froschige Kälte an den Zehen gespürt. Das Gummi knarzt so chic und das Elastische, Biegsame, Geschmeidige besitzt einen flutschigen Charme. Man zieht die Dinger über, latscht mit ihnen durch Watt und Hochwassergebiete und hat dabei immer das Gefühl, man könnte eigentlich viel Aufregenderes mit den kalten Kameraden unternehmen. Irgendetwas, das der Beziehung zum Gummistiefel das Monomanische nimmt und das vielleicht auch für den Gummistiefel schön ist. Skandinavische Seeleute haben es im späten 19. Jahrhundert vorgemacht: Sie zogen ihre Gummistiefel aus und schleuderten sie in die kühle Luft des Nordens. Grad schön war's. Und im Handumdrehen war eine neue, heitere Obsession geboren, deren Zügellosigkeit ein festes Regelwerk hemmt. Der Gummistiefel-Weitwerfer lebt seine Leidenschaft zwischen dem liebevoll markierten Abwurfsektor und dem eigentlichen Wurfgebiet aus, in welches er einen linken oder rechten Stiefel der Größe 43 (Herren) oder 38 (Damen) wirft. Wer seinen Fetisch am weitesten von sich wegstößt, hat gewonnen.

Kürzlich erwischte die bayerische Polizei einen Mann in Abensberg, der in seiner Wohnung 270 gestohlene Gummistiefel beherbergte. Fünfzehn Jahre lang hatte er die quietschenden Freunde paarweise in sein Haus geholt. Es wurden immer mehr, und wenn die Beamten nicht zugegriffen hätten, wäre der Mann an seiner Leidenschaft erstickt. Allerdings geht die Geschichte für den Abensberger traurig aus. Der Mann hat nämlich immer nur sehr kleine Stiefelgrößen geklaut. Zum erlösenden großen Wurf braucht er aber Gummistiefel der Größe 43.

(c) Süddeutsche Zeitung vom 14.12.2005