Einzelnen Beitrag anzeigen
Alt 08.05.2003, 14:29   #51
Claire
Erfahrener Benutzer
 
Registriert seit: 05.12.2002
Beiträge: 1.229
Claire hat die Renommee-Anzeige deaktiviert
Vom Südwestdeutschen Rundfunk habe ich auf Nachfrage den folgenden Text der Rezension, die auf SWR 2 gesendet wurde, erhalten:


Leonce und Lena 1.5.03
BE/ Regie Wilson/Musik Grönemeyer
Rezension: Maria Ossowski

Es funktioniert. Es funktioniert nicht nur. Man möchte fast sagen: es funktioniert wunderbar und heute nur noch so. Wir hören hier nicht Herbert Grönemeyer, sondern einen Star des Abends, einen Star am Berliner Theaterhimmel
O-Ton Musik Stefan Kurt Wer will schon noch lange leben...wenn wir uns dabei grämen.
Stefan Kurt, der Schattenmann, der Filmschauspieler als Valerio, der das
Liebespaar Leonce und Lena zusammenführt in einer typischen Wilsonregie mit viel Pantomime, Masken, ästhetisch kühl und doch voller Leidenschaft, mit Akrobatik und bezaubernden Lichtspielen. Manch bildungsbürgerliche Minen im Publikum zeigten mit skeptisch herabgezogenen Mundwinkeln, das ginge nicht mit Büchners tiefsinnigem Lustspiel um Liebe und Tod und Langeweile, und Grönemeyers der Dichtung logisch nicht adäquaten Texten, das sei Schändung, aber die Puristen waren ohne Chance. Der Jubel überwog eindeutig. Dank des Ensembles und eines Walter Schmidinger, den wir so komisch, so brillant, so larmoyant, so dusslig und schusslig lang nicht erlebt haben wie als König, der sein Volk vergisst und seinen Sohn verheiraten will. Welcher eigentlich der Ansicht ist: eine sterbende Liebe ist schöner als eine Werdende. Aber auch den Sohn überschwemmen die eigenen Hormone. Tesosteron siegt dank der schönen Nina Hoss. Man geht ja so einsam und sucht nur nach einer Hand, die einen hielte. Vor allem mit der Bürde des Königssohns im Genick und eines hinreißend dekadenten, von Grönemeyer musikalisch perfekt untermalten Staatsrates, eines Staatsratballetts
O-Ton Musik Staatsrat
Was, wo, wer wem...
Das Bühnenbild ist angesiedelt zwischen Rokoko und Kirchner,
ekklektizistisch und passend zu all den Zitaten der überbordenenden Phantasie des Regisseurs. Büchners Witz und seine Melancholie in jeder
Szene aufgreifend und unterstreichend. Das Prinzenpaar flieht voreinander, um sich in der Flucht dann endgültig zu finden. Mit Songtexten von Grönemeyer, die sicher hin und wieder am Rande des Kitsches angesiedelt sind: Ist das Herz eine Lüge, sterbendes Vergnügen, hat Liebe einen Zweck?
Nun ja, wer fragt sich das nicht, aber Büchners Antworten treffen doch in ihrer Ironie und damit passt das Gesamtkunstwerk: Man kommt leichter zu seiner Erzeugung als zu seiner Erziehung.
Wahres Theater, Zirkus, Musical, Komödie, Tragödie, genau in den
Schnittstellen zwischen den Genres bewegt sich Wilson mit dem Ensemble
grandios und virtuos. Und der Schattenmann, der Valerio, Stefan Kurt, der einzigartige Komiker, er verlangt zum Schluß: Und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um klassische Leiber und eine kommode Religion.
Wir fügen hinzu: Und um kurzweilg, herrliches Theater wie dieses.
O-Ton Musik Stefan Kurt
Alles gibt sich beizeiten...froh und faul und alt

Maria Ossowski
Kulturkorrespondentin Berlin
SÜDWESTRUNDFUNK
__________________
... Du Dich nicht von Dir entfernst...
... und wir müssen die Menschen daran erinnern, dass Kultur kein Luxus ist, sondern eine Notwendigkeit zum Leben, die man braucht wie Luft zum Atmen. (Simon Rattle)
Claire ist offline   Mit Zitat antworten