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Alt 17.03.2011, 11:41   #64
Sinister
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AW: Songtext zu "Schiffsverkehr"

Ich habe mal vor einigen Wochen mich an einer Interpretation versucht. Herausgekommen ist folgendes... vielleicht hilft's ja noch dem ein oder anderen. Wobei hier ja viele schon genau das gleiche in kürzerer Form gesagt haben.

Für mich ist "Schiffsverkehr" von allen kryptischen Texten noch einer der leichtere zu entschlüsselnde. Oder jedenfalls habe ich für mich eine Interpretation gefunden, die passt. Keine Ahnung, ob Gröne das genauso gemeint hat. Ist im Grunde ja auch nicht wichtig, alles hat mehrere Interpretationen, und alle sind richtig, wenn sie schlüssig begründbar sind.

In "Schiffsverkehr" geht es für mich um einen Menschen, der endlich wieder nach einer längeren Dürreperiode die Lust am Leben entdeckt. Das Setting, vor dem diese Thematik spielt, ist "Meer / Schiffe". Gröne hätte als Setting auch "Luft / losgerissenes Blatt" wählen können. Aber laut seiner Aussage war er damals wohl in Stockholm an der See und hat die Schiffe beobachtet. Also lag das näher...

Die neue Lust am Leben zieht sich durch nahezu alle Zeilen. Er findet immer wieder neue Formulierungen, um dies auszudrücken:

* "Die Anker los / Denn jedes Tief dreht sich ins Hoch" --> Anker hochziehen und ab geht's!
* "Die Feuer sind gesetzt" --> Leuchtfeuer am Schiff --> Es geht los!
* "Endlich auf hohe See" --> logisch.. und 'endlich' ist wieder absolut positiv! A la ich bin frei!

Es ist gut möglich, es klingt in vielen Zeilen durch, daß er sich vielleicht bewußt in den Hintern gekickt hat. Daß er sich bewußt selbst frei macht von einem lange nagenden Problem. Daß das nicht von selber geschieht. Zum einen ist es das Setting... um mit einem Schiff loszufahren, muss man selbst Arbeit reinstecken. Es geht nicht von selber. Außerdem:

* "Weg mit dem fixen Problem / Ich *will* mehr / Schiffsverkehr" --> Klingt wie ein Tritt in den eigenen Allerwertesten... und ich *will* ist ja auch nicht gerade, daß alles wie von selbst kommt.
* "Die Nebel leuchten" --> Die Probleme, die der Mensch hat, sind der Nebel, der die Hoffnung (hier die Leuchtfeuer) reflektiert und zurückwirft.
* "Die Dämonen sind versenkt / Aufgeklart" --> Haut ab, ihr alten immer wiederkehrenden Gedanken!
* "Es gibt kein Damals mehr / Nur ein Jetzt, ein Nach-Vorher" --> Sogar doppelt umschrieben: Weg mit der Vergangenheit! Ich lebe im Hier und Jetzt!
* "Werde, wer ich bin / Gute Fahrt" --> Wer will nicht sein, wer er eigentlich ist - niemals jemandem etwas vorspielen müssen.

Und diese Grundstimmung (Neue Lust am Leben, eventuell selbst auferlegt) kulminiert immer weiter. Es folgen tonnenweise als 'schöne Dinge' akzeptierte Symbole, in immer schnellerer Abfolge. Am Anfang noch mit Redewendungen umschrieben, sind es am Ende nur noch einfache Wörter / Sinnbilder. Vielleicht kann man es auch sehen wie ein Mantra... der Sänger befeuert sich selbst mit schönen Dingen oder Assoziationen, damit er aus dem Tief herauskommt.

* "Stell mich vor / das leere Tor" --> Ich bin der Fels in der Brandung, an mir kommt nichts vorbei!
* "Ich schlag mich fein / in Seide ein" --> Ich kümmere mich um mich, mache es mir behaglich.
* "Gib mir ewigen Schnee / Pures Gold, wohin ich seh" --> Pures Gold sind die materiellen Reichtümer, logisch. Das beruhigt... den Schnee kann ich nicht deuten. )
* "Leb mich Voran / Und verliere mich in mir" --> Mir geht es so gut, ich liebe mich so, daß ich mich in mir selbst verliere.
* "Brauch meinen Tag / Kein Schicksalsschlag" --> Ich brauch meinen Tag, aber Schicksalsschläge nicht.
* "[Brauch] Das Salz in mir / [Brauch] die Vorfahrt / [Brauch] Radikalkur / [Brauch] Überholspur / [Brauch] Kein Radar"

Am Ende des Liedes wird deutlich, daß der Mensch es geschafft hat. Es macht das 'selbst in den Hintern treten' auch noch wahrscheinlicher. Die Zeile kommt nach einem erlösten Aufseufzer bei "Den Abendsteeeern":

* "Endlich freie Sicht / Die Segel sind gefüllt / Und keine Liebe bricht mich"

Für mich zeigt das auch einen Hinweis auf das Problem, daß der Mensch hatte: Irgendeine alte, vielleicht mal erfüllte (vielleicht auch nicht), aber auf jeden Fall heute unerfüllbare Liebe hat ihn noch beschäftigt. Dieses Problem, ausgedrückt durch den Neben, ist nun endlich fort... freie Sicht! Und gefüllte Segel bedeuten ungebremsten Aufbruch.
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