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Alt 05.04.2007, 23:25   #62
david
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david befindet sich auf einem aufstrebenden Ast
AW: Gedanken rund um Gott, Religion und "Stück vom Himmel"

@AlexDe:
Du hast/ Sie haben aber auch die Einstellung "Jeder Christ ein Fundamentalist", oder? Das Bibelverständnis, dass du kritisierst/Sie kritisieren ist jedenfalls ein fundamentalistisches. Da sollte man ins Auge fassen, dass die evangelische und die katholische Kirche in ihren Studiengängen, also der Ausbildung derjenigen, die predigen, Konfirmations- und Firmungsunterricht halten oder Religionslehrer werden, die historisch-kritische Methode lehren. Diese untersucht die biblischen Texte (die ja in einer Spanne von ca.1000 Jahren entstanden sind) auf ihre historischen, kulturellen, situativen, religiösen, philosophischen(uvm) Kontexte, Intentionen und Aussagen. So zum Beispiel die Evangelien, deren Unterschiede du beschreibst. Diese hängen damit zusammen, dass die Evangelien von verschiedenen Leuten zu verschiedenen Zeiten für verschiedene Gemeinden geschrieben sind. Sie liefern alle keine historische Jesusbiografie sondern bezeugen Jesus als "Messias", "Christus"(worin sie sich einig sind!), etc. Das tun sie auf unterschiedliche Weise mit unterschiedlichen Schwerpunkten(wie du sagst/Sie sagen, bei Markus menschlicher, bei Johannes "göttlicher"). Dass die frühe Kirche Jahrhunderte nach Christus diese vier Evangelien in den biblischen Kanon aufnimmt, zeugt davon, dass man es damals nicht unmöglich fand, auf verschiedene Weise (an Jesus) zu Glauben und trotzdem gemeinsam Kirche zu sein. Da steckt Toleranz drin. Dass das in den 16 folgenden Jahrhunderten auf verheerende Weise anders gelaufen ist, darüber brauchen wir nicht diskutieren. Aber wie eingangs erwähnt lehren die beiden großen Kirchen kein fundamentalistisches Bibelverständnis (mehr). Wenn dennoch von der "heiligen Schrift" geredet wird, meint dass nicht, wie es andere christliche Gruppen sehen, dass sie "verbalinspiriert", quasi "vom Himmel gefallen" ist, sondern dass in ihr der Glaube an Gott(deshalb heilig) von Menschen und dementsprechend fehlerhaft und situationsbezogen bezeugt wird. Ich habe das übrigens im evangelischen Religionsunterricht gelernt, dessen Inhalte von der Kirche (mit-)gestaltet werden.

Weiterhin fordert gerade Jesus zu Nächsten- und Feindesliebe auf und auch Paulus schreibt in 1.Kor.13 "Alles, was ich jetzt erkenne ist Stückwerk". Es gibt also "keine hehre Lehre", auch wenn man bei Papst Benedikt(den ich bestimmt nicht verteidigen will!) schnell einen anderen Eindruck hat. Aber seinem Vorgänger war gerade der interreligiöse Dialog und sogar das interreligiöse Gebet ein großes Anliegen. Auch hat man immer noch "Versöhnen statt Spalten" vom verstorbenen Bundespräsidenten a.d. Johannes Rau im Ohr, der bekennender Christ war.

Was Mission angeht, ist es keine Frage, dass es grausam, menschenfeindlich und infam ist, was bei Kreuzzügen und späterer Mission geschehen ist, dass Kulturen zerstört und Menschen umgebracht oder zwangsgetauft wurden. Es ist auch richtig, dass es auch heute, wenn auch weniger gewalttätig(zumindest physisch gesehen - psychisch aber sehr wohl!), immer noch infame Missionsmethoden gibt. Aber man muss differenzieren. Und Entwicklungshilfe und direkte Hilfe und Mission zusammen ist für die Menschen immer noch besser als nur Mission. Davon, dass religiöse und kulturelle Traditionen in macnhen Entwicklungsländern Dinge wie Frauenbeschneidung, Zwangsverheiratung u.a. mit sich bringen ganz zu schweigen.
Weiterhin gibt es weitaus mehr als nur "Pioniermission". Es gibt ja längst viele Kirchen in zB Afrika (übrigens gehört die äthiopische Kirche zu den ältesten der Welt!). Zu diesen gibt es eine Vielfalt an Partnerschaften von zB europäischen Kirchen, was viele positive Aspekte, z.B. Aufklärung und Prävention in Sachen AIDS u.v.a. gemeinnützige Projekte fördert(ich weiß und finde es furchtbar, wie der Vatikan zu Prävention durch Verhütung steht!). Hier stecken die Kirchen auch einiges von ihrem Geld rein, dass im übrigen immer weniger wird. Außerdem bedeutet Partnerschaft einen wechselseitigen Austausch auf Augenhöhe, sodass gerade Christen aus unserem Kulturkreis hiervon in geistlicher, theologischer, persönlicher und anderer Weise hiervon profitieren. Man kann also sagen, dass auch afrikanische Christen deutsche missionieren.

Zu guter letzt wollte ich noch anmerken, dass du/Sie AlexDe, das beste Beispiel bist/sind, dass man eine freie Entscheidung hat und die Kirche dich/Sie nicht zwingt und nicht zwingen kann, ihr treu zu bleiben.
Ich teile viele deiner/Ihrer Kritikpunkte, aber man sollte doch etwas differenzierter auf die Sache schauen, sonst wird man als Christ, Jude, Moslem oder Agnostiker schnell intolerant.

PS: Ich war im Nachhinein nicht sicher, ob ich Du oder Sie sagen soll, als ich las, dass du/Sie es an anderer Stelle nicht warst/waren...
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Werde, wer ich bin. Gute Fahrt

Geändert von david (06.04.2007 um 01:34 Uhr).
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