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Alt 23.09.2009, 23:57   #73
Luxus
Estación del Silencio
 
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Lächeln AW: The Boss On Tour

Alles Gute, BOSS ... auf die nächsten 60 Jahre!

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Zitat:
FAZ:

Bruce Springsteen zum 60.
Unrast und Ernüchterung


Von Edo Reents


23. September 2009 An einem Abend im März des Jahres 1972 auf einem unbeleuchteten Parkplatz irgendwo in Amerika setzte, auf einer Motorhaube sitzend, ein schmächtiger, bärtiger junger Mann seine Unterschrift unter einen Vertrag, den ihm zwei halsabschneiderische Manager hinhielten. Damit war er praktisch Leibeigener einer Firma, die ihn für zehn Platten an Columbia Records band. Juristische Auseinandersetzungen, die ihn zeitweise lahmlegten, waren die Spätfolge.

Bruce Springsteen selbst hätte sich das nicht besser ausdenken können: der unversehens auf die Verliererstraße geratene Kerl voller Kraft, Ideen und Lebenshunger, der am Fortkommen gehindert wird. Es war, wie wenn eines dieser Autos, die in seinen Songs eine so große Rolle spielen, mit angezogener Handbremse ins Rennen geht - und am Ende doch gewinnt. Mit dem unglücklichen Startschuss hob die nach Elvis Presley und Bob Dylan gewaltigste amerikanische Rockkarriere an. Und es ist erstaunlich, dass Springsteen seine Platten nie woanders veröffentlicht hat als bei Columbia. Der große John Hammond wusste eben, was zu tun war, als er das Tonband hörte, das ihm der Bewerber aus New Jersey geschickt hatte: ein mit so gut wie allen Rock-'n'-Roll-Wassern schon gewaschener, mit einem unverbesserlichen Sinn für Melodramatik begabter, äußerst ehrgeiziger Bursche.

Harte Arbeit und Autofahren


„Er hatte den Gedemütigten und Verletzlichen Türen geöffnet“, schrieb Dylan über Hammond. Und Springsteen hat ihnen eine Stimme gegeben, die mehr zum Ausdruck brachte als Sozialkritik. Auch wenn Greil Marcus ihm das Verständnis für die Unterprivilegierten aus der Steinbeck-Ära abgesprochen hat, so setzte Springsteen ihnen 1995 mit der nahe an der Hörgrenze operierenden Akustikplatte „The Ghost Of Tom Joad“ ein Denkmal. Er holte die Depressionszeit in seine Gegenwart herüber und übersetzte sie für uns, wie er die nicht weniger prekären „Faust im Nacken“- und „West Side Story“-Welten in eine zeitgemäße Form übersetzt hat.
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Seine ersten beiden Platten, die 1973 in der irreführenden Sparte Singer/Songwriter erschienen waren, wiesen eine verblüffende Nähe zum Jazz auf. Springsteen schien sich dem Ruf nach einem neuen Dylan nicht verweigern zu wollen, verfehlte mit überbordendem lyrischem Mischmasch aber dessen gelangweilten Zynismus. Allerdings kündigte sich auf Liedern wie „Spirit in the Night“, „Blinded by the Light“ oder „Fourth of July, Asbury Park (Sandy)“ schon ein drängendes Talent an, nicht jedoch der einzigartig energetische Musiker, als der er 1975 mit „Born To Run“ plötzlich dastand. Springsteen hatte seine wichtigsten, um Desillusion und Daseinsfeier kreisenden Themen gefunden. Er war, für lange Zeit, der wirkungsmächtigste Sänger eines sich bisweilen tragisch gerierenden Teenager-Romantizismus, der sich auf der Straße auslebt. Irisch-italienischer Abstammung und katholisch erzogen, wollte er der Busfahrer- und Alkoholiker-Existenz seines Vaters entkommen, und dazu gab es zwei Mittel: harte Arbeit und Autofahren. Deswegen wurden ihm „Straßen, Autos und das Fahren an sich zu Metaphern jugendlicher Existenz und Flucht“, wie ein Biograph damals bemerkte.

Obwohl „Born To Run“, über das der amerikanische Historiker Louis P. Masur gerade ein ganzes, etwas ermüdendes Buch veröffentlicht hat, unter dem Erwartungsdruck beinahe zerbrochen wäre, wurde es als das Meisterwerk gefeiert, nach dem sich die Welt angeblich schon seit Dylans „Highway 61 Revisited“ (1965) gesehnt hatte. In der Tat war Springsteen, der seine nun sehr druckvoll agierende E-Street-Band arg strapaziert und länger als ein Jahr an den Texten gefeilt hatte, in eine Lücke gestoßen, die sich politisch aus der Watergate-Ernüchterung und musikalisch aus der Relativierung des Rockertums durch Glamrock und Punk ergeben hatte.

In misstrauischer, sehnsüchtiger Vereinzelung

Eine andere Frage ist, ob Jon Landau ihm mit seiner Zuschreibung als der „Zukunft des Rock 'n' Roll“ einen Gefallen getan hat; denn daran wurde Springsteen fortan gemessen. Die Erneuerung, die auch andere in „Born To Run“ sahen, lief in Wirklichkeit darauf hinaus, dass es sich bei diesem Bombast um ein noch nicht einmal sonderlich subtiles Phil-Spector-Imitat handelte und ansonsten Springsteens Vorliebe für Roy Orbison artikulierte. Die Schubkraft dieser Musik, die so muskulös war wie ihr Urheber später selbst, hielt indes so lange vor, dass Springsteen eine Sendepause von drei Jahren unbeschadet überstand und 1978 das schwungvolle Arbeiterklassenalbum „Darkness On The Edge Of Town“ vorlegte, das den Vater-Sohn- und Herumtreiber-Konflikten mythische Dimensionen verlieh und dessen aufkeimender Patriotismus bereits mit Bitterkeit durchtränkt war.

Es enthielt Springsteens berührendsten Song, „Racing in the Street“, in dem der Held sein Auto schön macht fürs Straßenrennen und irgendwann seine Liebste findet, die auch nicht besser dran ist als er: „She sits on the porch of her daddy's house / But all her pretty dreams are torn, / She stares off alone into the night / With the eyes of one who hates for just being born. / For all the shut down strangers and hot rod angels, / Rumbling through this promised land / Tonight my baby and me, we're gonna ride to the sea / And wash these sins off our hands.“ Springsteen sprach einmal vom Rock 'n' Roll als der Stimmung vom Samstagabend und vom Country als der vom Sonntagmorgen - der Euphorie jugendlicher Unrast sind bei ihm die Ernüchterung und das schlechte Gewissen immer schon eingeschrieben.

„The River“ (1980) blieb alldem thematisch nahe. Es war Springsteens absoluter kommerzieller Durchbruch und die reichhaltigste Platte, auf der er sich als mitreißender Rocker gab und vor allem als Meister majestätisch ausladender, tieftrauriger Balladen wie „Independence Day“, „The Price You Pay“ oder „Wreck on the Highway“. Doch als glaubte er an kein Erfolgsrezept, wagte er danach eine karge und, mit dem inneren Monolog eines Massenmörders und der Chronik von allerlei Kleinkriminellen-Existenzen, textlich verstörende Nummer: Das Album „Nebraska“ (1982), im Wohnzimmer solo auf einem Vierspurgerät eingespielt, ist bis heute eines seiner interessantesten, ähnlich wie das ebenfalls verhaltene, sehr gelungene „Tunnel Of Love“ (1987), das Springsteen in misstrauischer, sehnsüchtiger Vereinzelung zeigte.

Beobachter und Anwalt der Normalität

Doch zuvor war seine E-Street-Band noch einmal zum Zuge gekommen: „Born In The U.S.A.“ (1984) wurde sein größter Erfolg - die Apotheose all der verzweifelt-draufgängerischen Tendenzen des bisherigen Werks, in der noch einmal die uramerikanische Dialektik zwischen Freiheit und Verlierertum anklang. Es war eine Platte, die das Jahrzehnt beherrschte und weit in die Vergangenheit zurückstrahlte, ein Geniestreich, der sieben Top-Ten-Singles abwarf, denen sich damals niemand entziehen konnte, darunter „Dancing in the Dark“, der Song, in dem die für Springsteen so typische Mischung aus Melancholie und Übermut ihre gültigste Form findet.

Die Verführungskraft und emotionale Wucht, die so unbeschwert daherkommende Spielfreude dieses in Wahrheit sehr kalkulierten Albums befestigten abermals Springsteens Rang als größten Helden, den die Szene noch zu bieten hatte, den aber der mächtige Rhythm & Blues der E-Street-Band von den Pflichten eines klassischen Solisten befreite. Erstaunlicherweise hat er, der seine Fender Telecaster bestens zu bedienen weiß, nie allzu gitarrenlastige Musik gemacht. Clarence Clemons gleichförmige Saxophonfiguren, Max Weinbergs unerbittliches Schlagzeug und die unschuldigen Klavier- und Orgeltöne Roy Bittans und Danny Federicis beanspruchten gleiches Recht.

Inzwischen spielte aber auch die Weltanschauung eine Rolle, die Springsteen in Werken und Taten artikulierte. Der Beobachter und Anwalt der Normalität bekam ein Glaubwürdigkeitsproblem; die Welt, die er immer noch besang, war vielleicht noch die seiner in den Couchpotato-Stand hineingewachsenen Anhängerschaft, aber längst nicht mehr die ihres unvermindert agilen Idols; sie wirkte nur noch in ihm nach.

Kehlige Inbrunst

Seine Autorität hat darunter nie gelitten, auch wenn die neunziger Jahre, in die er mit zwei selbstzufriedenen Platten eintrat, ihn in insgesamt schwacher Form sahen. Erst der Anschlag auf New York konnte den Familienvater wieder herausfordern. Das Album „The Rising“ (2002), für das er seine E-Street-Band zurückholte, war ambitioniert, irritierte aber mit Gefiedel und Elementen eines harmlosen Mittelstandsgospels. Springsteen gab sich in der Folge musikalisch offen, nicht immer zu seinem Vorteil: Die Pete-Seeger-Hommage „We Shall Overcome“ war nicht ganz seine Kragenweite, und dass sein rauhes Organ für zurückhaltende Intonation ungeeignet ist, schien ihn auch nicht zu kümmern. Aber auf seinen neueren Einspielungen, zuletzt auf „Working On A Dream“, erzielt er, der live immer noch bis zur Verausgabung geht, gelegentlich die alte Magie.

Die Flucht vor dem Alter: Springsteen beschwor sie schon fünfundzwanzigjährig in dem Song „Thunder Road“: „So you're scared and you're thinking / That maybe we ain't that young anymore“ - wer die kehlige Inbrunst hört, mit der er „young“ singt, spürt, wie sehr ihn das Thema einst umtrieb. Heute fühlt er sich, im Vollbesitz dessen, was ein Rockmusiker erreichen kann, womöglich jünger. Am Mittwoch wird Bruce Springsteen sechzig Jahre alt.
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