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Alt 31.07.2023, 02:39   #57
JJ
Darum öffnet Eure Pforten
 
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JJ ist ein wunderbarer AnblickJJ ist ein wunderbarer AnblickJJ ist ein wunderbarer AnblickJJ ist ein wunderbarer AnblickJJ ist ein wunderbarer AnblickJJ ist ein wunderbarer AnblickJJ ist ein wunderbarer Anblick
AW: "Das ist los" in Konzert-Woche 4 - (B2 - B3 - GE)

Der Versuch eines Tourberichts, nicht unbedingt chronologisch, vollständig oder lesenswert:

Diese Tour war in vielerlei Hinsicht grundlegend anders als alle bisherigen und das gar nicht mal nur in den bereits vielfach genannten Hinsichten (das Fehlen von Frank, die pandemie-bedingte Grundungewissheit, der Krieg und noch so einiges), auch planerisch verlief sie (zumindest für mich) völlig anders als gewohnt: Eigentlich ist es seit der Dauernd jetzt-Tour guter Brauch bei mir, mit ca. 800 € in bar zur Vorverkaufsstelle meines Vertrauens zu gehen und mich dann einzudecken mit allem, was möglich und nötig ist - mit dieser Tradition musste ich brechen, weil letztes Jahr absolut nicht absehbar war, ob die Ersparnisse für die Nebenkostenabrechnung reichen und überhaupt, das taten sie zwar, aber trotzdem war der Zug für Topplätze inzwischen weitestgehend abgefahren, also musste ich mich hier auf die Suche nach Tickets begeben (was schlussendlich auch problemlos klappte: 3 von hier, 5 durch frei gewordene Kontingente und eins bei Ebay Kleinanzeigen). Ähnlich ungewohnt war es, dass dieses Mal die Fahrkartenbeschaffung komplett entfiel - nicht, dass ich mich beschwere, nein, ganz im Gegenteil, das Deutschland-Ticket ist ein Segen (und nebenbei einer von viel zu wenigen Beweisen, dass die Kernkompetenz des potentiell brauchbaren Teils der Regierung nicht auschließlich darin besteht, sich vom mehrheitsbildenden Wurmfortsatz rumschubsen zu lassen) und da es Anfang Mai eingeführt wurde, musste ich für kein einziges Konzert eine Fahrkarte zusätzlich erwerben, was mich sehr freute, aber auch bei jeder Portemonnaie-Kontrolle zusammenzucken ließ, wenn ich nur die Konzertkarte vorfand.

Irgendwann ging es dann endlich los mit dem WarmUp in Bremen, dem einzigen Konzert dieses Jahr in einer mir unbekannten Spielstätte und ich empfand, als es losging, ein ähnlich erlösendes Gefühl wie 2012, als in Lübeck das 1. Blick zurück-Konzert begann - wenigstens für einen dreistündigen Augenblick fiel einiges an Scheiße einfach mal ab (es meldet sich schon rechtzeitig wieder, keine Sorge), ich hatte gehofft, dass das noch klappt, war dann aber doch erstaunt, dass es wirklich noch klappt, ich hatte befürchtet, dass das, neben vielem anderen, nicht mehr funktionieren würde (oder um es etwas themenbezogener auszudrücken: Dass auch dieser Schlüssel nicht mehr schließen würde). So war dann das 1. von 9 Das ist los-Konzerten für mich vorbei, nach wenigen Augenblicken fragte mich jemand wildfremdes (oder jemand, den ich kennen sollte, und nicht erkannt habe), ob ich glaube, ob Eleganz dabei bleibt, was ich skeptisch verneinte, womit ich leider recht hatte; rückblickend betrachtet meiner Meinung nach das mit großem Abstand herausragendste (ich machte mir nach diesem phänomenalen Auftakt wenig Hoffnung, es könnte getoppt werden und das wurde es in meinen Augen auch nicht, aber es folgten gleichwohl 8 weitere denkwürdige Konzerte) und es folgten direkt hintereinander weg die folgenden 5 Konzerte, was ich zum einen so geplant hatte, falls es im Laufe der Tour wieder zu einer corona-bedingten Absage kommen sollte, und zum anderen, weil Kiel und Hamburg für mich sehr leicht händelbar sind, irgendwo dazwischen bin ich aufgewachsen, beide Städte kenne ich wie meine Westentasche (zumindest komme ich dort ausreichend zurecht) und eigentlich hätte es irgendwo dazwischen jederzeit die Möglichkeit gegeben, mich selbst zum Übernachten einzuladen und mit Handkuss willkommen zu sein - uneigentlich kam aber leider Ende letzten Jahres ein Trauerfall unerwartet dazwischen (der mich nicht in dem Maße aus den Latschen haute wie einer, der inzwischen fast 2 1/2 Jahre zurückliegt, aber immer noch mehr als nötig), mit dem sich auch die Übernachtungsmöglichkeit erledigt hatte...

[An dieser Stelle ein kleiner Einschub, denn erst vor kurzem ist mir aufgefallen, dass das obigatorische Geburtstagsgedicht für meine Großmutter, aus dem ich zwangsläufig einen Nachruf machen musste, erstaunlicherweise in manchen Details Ähnlichkeit hat mit Das ist los (dem Lied), nämlich in einer würdevollen Erwähnung der Queen und in der Aufzählung von Verwandtschaftsgraden und weil es zu gut gelungen ist, um im ganz kleinen Kreis der Verwandtschaft (bzw. in dem Teil davon, den man nicht in die Tonne treten sollte) zu verstauben, füge ich es hier, gekürzt um allzu private Stellen, ein]

>>Liebe Oma,

wäre nicht vor sieben Wochen dieser schlimme Trauerfall dazwischen gekommen,
hätte dieses Gedicht eigentlich so begonnen:
„Die Queen von England ist tot, auwei -
scheißegal, die Queen von B. wird heute hundertzwei!“


Es kam leider anders und ich muss mir nun was Neues ausdenken
und diese Zeilen kann ich leider nur den Hinterbliebenen schenken.
Ach ja, noch ein kleines Ärgernis neben all den großen Dingen:
Die Arschlöcher von der Arbeit lassen nicht mal einen Sonderurlaubstag springen -
denn wie Schwiegereltern, Cousins, Cousinen sowie jeder Onkel und jede Tante
gelten Großeltern nur als „entfernte Verwandte“.


Über Dein langes erfülltes Leben habe ich erst zum Hundertsten ausführlich geschrieben -
nicht ganz acht Seiten, aber immerhin etwas mehr als sieben.
Heute schreib ich eine Anekdote auf, die mir erst später wieder einfiel
und sie zeugt von reichlich Eleganz und sehr sehr viel Stil.
Denn wer braucht schon ein Diplom oder einen Doktortitel in Atomphysik?
Du hattest was viel besseres drauf: Die hohe Kunst der subtilen Kritik.


Ein Beispiel, lassen wir es 1998 gewesen sein:
Wir besuchten Verwandte von meinem Vater und kehrten unterwegs in einer Gaststätte ein.
Das Schnitzel war zäh, die Pommes kalt und auch Dir und den anderen schmeckte es wenig
und die Rechnung war happig - für fünf Leute 124 Mark und 50 Pfennig.
Du legtest auf den Tisch einen Hunni, einen Zwanni und einen Heiermann, also exakt 125 Mark
und hast für jeden unüberhörbar „Stimmt so!“ dazu gesagt.
Der Kellner guckte blöd aus der Wäsche, aber ich bin sicher, er verstand,
weil er schnell das Geld einstrich und wortlos verschwand.


So warst Du, gewitzt, aber vor allem anständig und bescheiden
und von Dir könnten sich einige so manche Scheibe abschneiden!


Eine Sache noch, ich weiß, es ist unverschämt, ganz unbestritten;
dennoch möchte ich Dich um einen letzten kleinen Gefallen bitten:
Bitte grüß meine Uroma, wenn Du sie siehst und auch meinen Vater, Deinen letzten Schwiegersohn,
und natürlich ganz besonders Opa - der wartet auf Dich seit sechsunddreißig Jahren schon.


Kommen wir nun zum Ende, denn nichts wird je wieder gut und nichts spendet irgendeinen Trost -
mit diesem traurigen Fazit endet das letzte Gedicht
(...)<<

...als nächstes stand also das Konzert in Kiel an und weil ein Bahnstreik angekündigt war, sah ich mich gezwungen, mein Ticket anderweitig nach Kiel gelangen zu lassen und im alleräußersten Fall die Anreise abzubrechen in der Hoffnung, dass es noch zu Geld gemacht werden kann - dies führte dazu, dass ich tatsächlich im Rahmen einer Tournee ein Hotel betreten habe, was ich normalerweise nicht tu (zugegeben, 2019 bin ich in Timmendorfer Strand und in Bremen im Laufe der langen Wartezeit vorm Einlass in Hotels auf Toilette gegangen, aber es käme mir nie in den Sinn, in einem Hotel zu übernachten, mir wird mein Schneid schon noch früh genug abhanden kommen, da muss ich das nicht durch Komfort beschleunigen - an der Rezeption ein Ticket abzuholen, das finde ich so gerade eben noch vertretbar) und tatsächlich erwies es sich als hilfreich - der Bahnstreik war zwar abgesagt, aber wegen Bauarbeiten, eines Zuges, der keine 3 Minuten auf den zu ihm gehörigen Ersatzbus wartete, zweier Zugausfälle, einer technischen Störung und weiterer allgemeiner Unfähigkeit der Deutschen Bahn erhöhte sich meine Fahrzeit nach Kiel mal eben von 7 auf über 10 Stunden...

...aber auch das ging irgendwann vorüber und auch in Kiel sprach mich noch in der Halle jemand wildfremdes sehr unerwartet an, allerdings ging es nicht ums Konzert an sich, sondern darum, dass die ansprechende Frau, ihr Mann und noch jemand mich bereits in der Vergangenheit auf all ihren 3 Grönemeyer-Konzerten gesehen hätten und mich deshalb auch als Teil des ganzen betrachteten und es wäre ihr ein Bedürfnis, mir das einmal mitzuteilen - gern geschehen! Und weil in Schleswig-Holstein und Hamburg ansonsten niemand mehr nach mir kräht und ich keine Lust hatte, den Mittwoch dort zu überbrücken und Zugfahren seit Mai kostenlos geworden ist, fuhr ich für einen Tag wieder nach Hause (irgendwo im Ruhrgebiet) und an Himmelfahrt wieder nach Hamburg, dieses Mal wieder mit der Baustelle, aber ohne den anderen Scheiß, außerdem hatte ich einen Sitzplatz, also nicht so großen Zeitdruck, nachts stellte ich ertstaunt fest, dass es in Rothenburg an der Wümme eine zugängliche und beheizte (!) öffentliche Toilette am Bahnhof gibt (der Warteraum war natürlich verschlossen), um Freitag direkt in Dortmund weitermachen zu können, auch dort ein Sitzplatz. Über die Konzerte selbst lasse ich mich jetzt nicht mehr so detailliert aus, das habe ich größtenteils an anderer Stelle schon getan, aber ich möchte erwähnen, auch wenn die Komplettumkrempelung in Kiel mich besonders flashte und auch insgesamt ein wenig stimmiger wirkt als in Bremen, dass mir das Bremer Programm deutlich besser gefallen hat.

Nach Dortmund war dann ein Tag Pause, um am sehr frühen Sonntagmorgen (mit sehr früh meine ich halb 4) nach Berlin aufzubrechen - der Trip dauerte zwar noch 2 Stunden länger als nach Kiel, ich empfand ihn aber als viel weniger zermaternd, wahrscheinlich, weil er so geplant war. Rückblickend empfand ich das Konzert in Berlin als das Schwächste der Tour (32 Lieder sind zwar grundsätzlich enorm, aber nach Das ist los-Maßstäben halt zugabenloser Minimalstandard), dafür traf ich dort (in der Halle) eine sehr nette Person wieder, die ich seit über 10 Jahren nicht gesehen hatte und mit der ich ins Gespräch kam, deshalb ist auch der Trip nach Berlin nicht umsonst gewesen (wäre er auch so nicht, aber um der Stadt selber willen würde ich das niemandem empfehlen). Am nächsten Tag stand Hannover auf dem Plan, da dort aber wegen Umbauarbeiten keine Bahnhofsschließfächer verfügbar sind, sah ich mich genötigt, mein Gepäck in Bremen einzulagern - das bedeutete ca. 5 Stunden Umweg, aber Zugfahren ist ja kostenlos und es reichte dennoch für die 1. Reihe (in Kiel und Berlin übrigens auch schon), dieses Mal sogar am Stegende. Und dieses Mal war es sogar die Halle, in der ich nicht ganz 23 Jahre zuvor mein allererstes Konzert erlebt hatte und in der Zwischenzeit kein weiteres Etwas von der daraus resultierenden Ehrfurcht beeinflusst habe ich sogar erstmals seit der Dauernd jetzt-Tour wieder bei Flugzeuge im Bauch und Zeit, dass sich was dreht mitgesungen, die ich üblicherweise boykottiere und hätte ich ca. einen halben Meter weiter links gestanden, hätte ich möglicherweise eines von den kleinen schwarzen Schweißhandtüchern ergattert, habe ich aber nicht.

Es vergingen in der Zwischenzeit Konzerte in Wien und München, auf denen ich nicht war, und am Samstag ging es nach Köln, wo ich, wie auch in Bremen, schon gegen 15 Uhr war, wo es, wie auch in Bremen, eine Markierung auf der Hand gab, um schneller reingelassen werden zu können (in Bremen war es eine handgeschriebene 35, für die ich mir die Stelle aussuchen durfte und dafür den linken Handrücken auswählte, in Köln war es ein gestempelter Kölner Dom, den ich auch dort hin haben wollte, bei dem der deutlich weniger flexible und kooperierende Security-Freggel allerdings drauf bestand, dass der innen aufs Handgelenk muss) und in Köln schaffte ich es, anders als in Kiel, Berlin und Hannover, wo ich deutlich später aufgekreuzt war, wie auch in Bremen, trotz Handstempelung nicht in die 1. Reihe. In Bremen gereichte es mir zum Vorteil, weil ich so einen Stick auffing, in Köln allerdings, wo ich auch etwa einen halben Meter zu weit hinten für ein schwarzes Handtuch stand, gelang mir der Fang eines 2. Sticks nicht, da er meine Hand zwar traf, aber von ihr abprallte - dafür gab es nach Immerfort noch 4 weitere Solozugaben und es war endlich der Knoten geplatzt, um für den Rest der Tour alle bisherigen Dämme brechen zu lassen, was Spielzeiten angeht. Rückblickend sehe ich, vor allem wegen des absurden Zugabenregens, Köln als das zweitbeste Konzert der Tour - es folgten zwar noch liederreichere Konzerte mit wesentlich dolleren Stücken als Currywurst, aber dieses absolut spontane Einen-hab-ich-noch-Prozedere, das gab es nur in Köln, vielleicht war es genau so, wenn er als Kind mit der Ukulele oder als Jugendlicher mit der Gitarre am Lagerfeuer noch einen und noch einen und noch einen unterbingen wollte.

Meine vorletzte Reise verschlug mich nach Frankfurt, dieses Mal Sitzplatz allerunterster Preisklasse an alleroberster Stelle und nachdem ich 2019 im selben Stadion das einzige Mal während der Tumult-Tour in der 1. Reihe am Stegende stand und am Ende von Lebe mit mir los den halben Schellenkranz auffing, gab es dieses Mal auch wieder eine Belohnung musikalischer Art, erstmal überhaupt 37 Lieder, allerdings war das ganze zum Ende hin deutlich abgeklärter ls in Köln und deshalb verbuche ich dieses Konzert mit der längeren und objektiv besseren Setlist als in Köln als das drittbeste Das ist los-Konzert, das ich erleben durfte.

Eine Woche später fiel dann das komplette auch mit meinem persönlichen Tourende zusammen - es freute mich, zum Schluss gemütlich eine halbe Stunde mit Bus und Straßenbahn direkt zum Konzert zu gelangen (die Rückfahrt war bedeutend länger, aber das ist in Gelsenkirchen normal), auch wieder mit ganz billigem Sitzplatz ganz oben - das erhoffte Riesenhighlight zum Abschluss wurde es aber in meinen Augen nicht. Gleichwohl ging eine wunderbare Tour zu Ende, von der ich froh und dankbar bin, 9 Konzerte erlebt zu haben (von denen ich keines missen möchte und ich glaube, ich habe auch keines verpasst, das ich unbedingt hätte erleben müssen), die hoffentlich mit zusätzlichem Bochum-Schwerpunkt mit derselben Intensität fortgesetzt wird nächstes Jahr.
__________________
Auch wenn Du mich verklagst
und Du schwörst, dass Du mich magst,
ist mir alles so egal
.

Ob Du fauchst oder ob Du beißt,
mich verwirrt nennst oder unreif,
Rache schwörst zum jüngsten Tag.

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